9. Brief von Ulrike S.

Liebe Betroffene!
Theresa hat auf ihrer Seite für Zwangskranke eine „Hotline eingerichtet, ich nenne es einfach ein Hilfstelefon. Wie Ihr auf der Seite erfahren könnt, versuche ich jeweils am Mittwoch von 18 Uhr bis 20 Uhr für Betroffene als Ratgeberin da zu sein. Meine „Kenntnisse über Zwangskrankheit und Therapie beziehe ich aus jahrzehntelanger eigener Erkrankung, aus zwei Jahren Therapie und aus 12 Jahren als Kotherapeutin. 
Die Hotline betreue ich seit einigen Monaten, ich kann sagen, das ist eine gute Sache. Sie brauchen sich nicht zu scheuen, zum Telefon zu gehen, und falls der Zwang Ihnen das verbieten will, dann sagen Sie ihm: „Das lasse ich mir nicht nehmen, du blöder Kerl!“ Ich weiß ja, wie gehässig der Zwang sein kann. Er möchte Sie zum Beispiel am Telefonieren hindern, weil er behauptet, der Hörer sei nicht sauber genug. Oder der Zwang droht Ihnen: „Wenn du telefonierst, dann passiert etwas.“ Oder er sagt womöglich: „Wenn du telefonierst, dann könnte das jemand hören, der Chef könnte davon erfahren und du verlierst den Job.“ Oder der Zwang könnte behaupten. „Achtung, Achtung, telefoniere lieber nicht. Vielleicht bist du nach dem Anruf nicht mehr sicher, was du am Telefon gesagt hast und das könnte dich zwangsmäßig beschäftigen. Hast du dich wohl auch verständlich genug ausgedrückt. Wenn nicht, dann könntest du nicht die 100 % richtigen Antworten bekommen.“ Oder der Zwang warnt: „Achte beim Telefonieren auf die Wahl deiner Worte, nicht alle Wörter sind unbedenklich.“ So dummes Zeug und noch vieles mehr kann der Zwang behaupten, um Euch am Telefonieren zu hindern. Außerdem gönnt der Zwang den armen Erkrankten keine Erleichterungen. 
Oder deine Ängstlichkeit warnt dich: „Weißt du überhaupt, wer da am Ende der Leitung sitzt. Vielleicht ist sie nicht nett genug mit dir, vielleicht versteht sie dich nicht, vielleicht staunt sie über deinen merkwürdigen Zwang. Vielleicht nimmt sie sich nicht genug Zeit, wenn du den komplizierten Ablauf deiner Zwänge schildern möchtest. Vielleicht gibt sie dir Ratschläge, die du dich nicht nachvollziehen getraust. Vielleicht möchte sie dich sogar drängen, in Therapie zu gehen, obwohl du nicht den Mut dazu hast.“ 
Liebe Betroffene, ich denke, ich habe Euch gezeigt, dass ich mich in Zwänge einfühlen kann und dass ich auch die Ängstlichkeit verstehe, einfach zum Telefon zu gehen, und „jemand Fremden“ anzurufen. 
Haben Sie keine Sorge, wenn Sie auf diese Weise Rat und Hilfe holen wollen oder ganz einfach nur über Ihr Leiden reden wollen. Die Anrufe sind vollkommen anonym, das versteht sich von selbst. „Jemand Fremder bin ich nicht für Sie, ich gehöre auf eine besondere Weise noch zu denen, die an Zwängen leiden. Sie können sicher sein, ich werde Sie verstehen. Ich kann behaupten, dass ich mich in jeden Zwang einfühlen kann. Und wenn ich auch nicht immer Rat geben kann – das kann man bei der Zwangserkrankung innerhalb eines Anrufes nicht immer – Sie können sicher sein, dass Sie sich erleichtert fühlen, wenn Sie mit einer ehemals Betroffenen reden können. Es ist doch die immer noch „heimliche Krankheit, die es uns so schwer macht, drüber zu sprechen. Also getrauen Sie sich und tun Sie es einfach! 
Liebe Grüße, Ihre Ulrike S. 
Recht herzliche Grüße auch an Dich, liebe Theresa! Ich freue mich, dass wir so gut zusammen arbeiten! 
Autorin der Bücher:„Der Weg aus der Zwangserkankung“ (Ulrike S., G. Crombach, H. 
Reinecker) 
„Hilfreiche Briefe an Zwangskranke“ (Ulrike S., G. Crombach, H. Reinecker) 
ab April 2006: „ABC für Zwangskranke“, Tipps einer ehemals Betroffenen

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